Zwischen Bild und Ton

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between sound and image //
a column about getting confused by using an audioguide during a visit at a museum

Den Audiotrichter
bitte mit Navigationssystem

von Fabienne Lorenz

trichter2
Meist liegen die Audioguides in einem Museum abseits der Ticketkasse auf bewachten Tischen, wo ich nie vorbeischaue. Dieses mal bekomme ich ihn einfach am Eingang zur Ausstellung in die Hand gedrückt. Es ist ein flaches Rechteck mit Touchscreen in der Mitte und lässt sich bequem greifen. Auf ihm erscheinen beim Eintreten in die Ausstellung mehrere kleine Knöpfe mit Landesfahnen. Ich darf hier wohl meine Sprache auswählen. Um mich herum unternehmen auch die anderen Besucher ihre ersten Schritte im Programm des Audioguides. Während noch ein Asteroid den Ladevorgang umkreist, schleiche ich gesenkten Kopfes, um nur ja das Gerät nicht aus den Augen zu verlieren, geradeaus auf ein Gemälde zu.

Ich bin von der drei mal zehn Meter großen Leinwand, die da so plötzlich vor mir auftaucht, überrascht. Das Bild ist voller Menschen – eine ganze Prozession zieht darauf an mir vorbei. Sie befindet sich auf dem Weg zum Museumswärter, von dem ich gerade herkomme. Interessiert neige ich meinen Kopf sofort wieder zu dem kleinen Bildschirm herunter, auf dem mittlerweile briefmarkenartige Knöpfe erschienen sind. Ich drücke die Inschrift ‚Start‘.

In den Kopfhörern passiert noch nichts, ich habe zwei Briefmarken-buttons übersehen. Eine Büste vom Typ sonst-stehe-ich-eher-als-Bauer-auf-dem-Schachfeld und eine Malerpalette mit Pinsel ersetzen jetzt die Fahnen. Ich bewundere noch die sorgfältig nach den Regenbogenfarben sortierten Punkte auf der Palette, wähle dann aber sicherheitshalber doch lieber den Schach-Bauern. Nicht dass ich gleich am Anfang schon zum interaktiven Teil der Besichtigung vorstoße und auf dem Touchscreen malen muss. Ich tippe darauf und stelle mich schon mal rückwärtsgehend vor der imposanten Leinwand bereit. Der Saal ist zu klein. Die ganze Bandbreite der Prozession findet keinen Platz in meinem Blickfeld. Egal wie ich mich auch hindrehe, ich kann immer nur Bildausschnitte sehen.

Es erscheint das verständige Gesicht eines Mannes auf dem Bildschirm in meiner Hand. Er beginnt sogleich mir von den Menschen auf dem Gemälde zu erzählen, so als wäre sein Text eine Geschichte aus Tausend und einer Nacht. Ich habe Märchen schon immer gern gehabt und hafte meinen Blick erwartungsvoll auf die Leinwand.
Aus dem Audioguide – „Im Vordergrund des Bildes von Sorolla erscheinen die vier Nazarener von San Esteban, welche in den für ihre Bruderschaft spezifischen, braunen Leinenkutten mit den spitzen, hoch aufragenden Kapuzen als Träger der Marienstatue dem Prozessionszug der sevillanischen Semana Santa angehören, …..“
Meine Augäpfel ruckeln, vor mir steht eine Bäuerin mit roter Schärpe und einem Brotkorb in den Armen. Er beginnt mit seiner Beschreibung an einer anderen Stelle des Bildes! Ich will auf keinen Fall schon den Anfang verpassen und haste das zehn Meter lange Gemälde entlang. Die Menschenmasse wippt in meinem Blickfeld. Da sind einige Kinder die etwas betreten im Sonntagsputz auf die staubige Straße starren, hinter ihnen Caballeros und Damas in spanischer Tracht, angeschirrte Pferde, noch mehr Frauen mit Schürzen und Brotkörben; alles etwas folkloristisch, denke ich mir, als ich endlich beim Klerus ankomme.

Ahhh! – raune ich erleichtert und laut. Weil ich trotz Kopfhörer nicht alleine im Raum bin, hören es auch die anderen Besucher. Schauen sie mich schon verwundert von allen Seiten an? – Nein, sie sind genauso beschäftigt wie ich.

Der Sprecher ist mittlerweile beim Faltenwurf der schlichten Kutten angekommen. Von Bescheidenheit sehe ich bei den Würdenträgern aber nichts. Dafür dicke Goldketten mit überdimensionalen Anhängern, und für das Gewand vor meiner Nase hat sicher eine eierschalenfarbene Robe aus Seidenatlas von der spanischen Königin persönlich Modell gesessen. Mir kommt es fast so vor, als seien die Stickereien nicht gemalt, sondern auf die Leinwand genäht worden. Um mir wenigsten in diesem Punkt Klarheit zu verschaffen, trete ich näher heran. Die ganzen Versprechungen von dem Kunsthistoriker im Audioguide machen mich ungeduldig. Ich will endlich die schmuddligen Kutten der Nazarener sehen! Aber mein drohender Blick aus kürzester Entfernung kratzt sie auch nicht hervor. Alles echt – da ist kein Stoff aufgeklebt.

„Die Farbgebung taucht den Betrachter in die Finsternis des Mittelalters. Schwarz, Anthrazit und Nachtblau umgeben die Nazarener.“ Ich habe schon ein leicht schiefes Lächeln im Gesicht. Die Szene vor mir ist so bunt wie eine Schießbude, zur ihrer Vollendung fehlen nur noch die blinkenden Lichter.

Der Sprecher muss sich in der falschen Ausstellung befinden. Das Audio-Ding ist kaputt! Ich nehme sofort Kurs in Richtung Museumswärter und eile schon das kilometerlange Bild wieder zurück. Doch da sehe ich, in dem Moment, in dem ich mich umdrehe, ein ziemlich düsteres Rechteck unmittelbar neben dem Eingang. Nicht gerade klein. Vier lebensgroße Nazarener schleppen darin die Jungfrau in meine Richtung. Recht so, dann kann ich mir den Weg sparen. Und da sind ja auch endlich die schmuddligen Kutten.

Wie wäre es, den Audioguide neben Touchscreen, Schachfiguren und Märchenerzähler, mit einem GPS-System für die Besucher zu ergänzen? „Nach dem Eintreten bitte links abbiegen; in zwei Metern um neunzig Grad nach links wenden. “

m @ Juni 12, 2008

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