Musik im Film

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„i hear what you don`t see“

relations between music and film
– the impact of music on movies and artfilms

part of an interview with peter wicke, professor of music theory and history of popular music, humboldt university berlin (interview by fabienne lorenz)

„ich höre, was du nicht siehst“

Filmemacher gehen meist sehr bewusst mit den Besonderheiten der audiovisuellen Wahrnehmung um. Untersucht man die kognitiven Anlagen des Menschen genauer, zeigt sich deutlich, warum Regisseure die Tonspur so bedacht einsetzen. Im Film löst jeder Laut bei den Zuschauern Phänomene aus, die den Gehalt eines Films stark beeinflussen.

Der Musikwissenschaftler Prof. Dr. Peter Wicke leitet an der Humboldt Universität zu Berlin den Lehrstuhl für populäre Musik. In einem Gespräch erläutert er, welche Konsequenzen solche audiovisuellen Wahrnehmungs-Phänomene haben und wie Filmemacher damit umgehen.

Wenn Sie ins Kino gehen, was zeichnet für Sie gute Filmmusik aus?

P. Wicke: Das hängt vom Genre ab. Es gibt Filmgenre, wo die Aufgabe der Musik sicherlich am besten erfüllt ist, wenn man sie nicht bemerkt – also weder die Abwesenheit noch die Anwesenheit. Die Musik geht dann im Gesamtzusammenhang auf, ohne dass sie da in irgendeiner Form vordergründig wird. Umgekehrt gibt es natürlich auch Genre, meistens die Anspruchsvolleren, wo man erwartet, dass man wahrnimmt was die Rolle der Filmmusik sein soll. Das Konzept dahinter ist dann für den Zuschauer erkennbar. Sonst ist man desorientiert und versucht herauszufinden warum das so und nicht anders klingt oder warum da überhaupt etwas klingt und nicht nur der Dokumentarton da ist.

Warum scheinen der Ton und die Musik in einem Film dem Bild immer untergeordnet zu sein?

P. Wicke: Also das ist, glaube ich keine spezielle Frage das Films. Das hat mit unserem Wahrnehmungsapparat zu tun. Das Bild ist in unserer Wahrnehmung etwas sehr konkretes und damit auch sehr leicht aufschließbares, zuordenbares. Klänge müssen denotiert werden, bevor man sie zuordnen kann. Sie haben in der Regel keinerlei Eindeutigkeit, sondern sind durchweg kulturell konnotiert. Selbst bei einer Autohupe erkennt man ihre Funktion nur, wenn man weiß was eine Hupe ist. Obwohl der Klang an sich gar nicht so komplex ist. In der Eindeutigkeit von Bildern liegt auch der Grund, dass immer dann, wenn Auditives und Visuelles zusammenkommen, das Visuelle per se erstmal in der Dominanz ist.

Wenn man sich mal vorstellt, die Tonspur von einem Kinofilm wegzunehmen und ihn dann zu zeigen – wäre das derselbe Film?

P. Wicke: Nein, das wäre ein anderer. Das wissen wir aus der experimentellen Wahrnehmungspsychologie. Von dem Moment an, wo man aus einer Einheit von Bild und Musik eine Ebene herauslöst, wird das etwas anderes. Das heißt nicht, dass es nicht funktioniert, aber die Inhalte verändern sich. Musik hat häufig eine affektiv stimulierende Funktion. Sie bettet das, was gesehen wird in einen bestimmten affektiven Zusammenhang ein. Wenn der weg ist, konstruiert der Zuschauer aus anderen Faktoren so ein affektives Verhältnis zum Bildgeschehen. Das könnte der Dialog sein, wenn das Geschehen sehr dialogdominant ist. Werden allein Bilder gezeigt, leitet sich das Verhältnis aus atmosphärischen Aspekten des Bildes ab. Das kann unter Umständen zu einem völlig anderen Resultat führen.
Umgekehrt gilt das natürlich auch für die Musik. Es gibt ja nicht wenige Beispiele wo eben Soundtracks in sich eine eigene Prägnanz haben und deshalb auch ohne Film wirken. Das ist ja sogar ein Genre auf dem Tonträgermarkt. Vielfach hat Filmmusik ihren eigenen Zeitablauf. Das ist für Filmmusik eine wichtige gestalterische Dimension. Da werden dann Melodien unter Umständen sehr lang gezogen. Im Kino erscheint das dem Zuschauer überhaupt nicht so, weil sie das Bildgeschehen tragen und dort keinerlei Länge drinnen ist. Von dem Moment an, wo die melodische Gestalt abgelöst wird, entfaltet sich erst ihre zeitliche Dimension. Die hatte sie schon immer. Ihre individuelle Wirkung kommt aber dann erst zur Geltung und dabei können Redundanzen entstehen, die als Musik nicht mehr funktionieren. Deswegen kann man auch nicht alles, was ein erfolgreicher Film mit einem erfolgreichen Soundtrack war, herauslösen und auf Platte separat vertreiben.

Welches Verhältnis von Bild und Ton strebt ein Filmregisseur idealerweise für seinen Film an?

P. Wicke: Eines das nicht durch Beliebigkeit charakterisiert ist. Aber jenseits dieses negativen Ausschlusskriteriums, ist das wirklich sehr davon abhängig, was der Regisseur will. Das kann von einer Kommentarfunktion bis zum Kontrapunkt reichen.

(Interview geführt von Fabienne Lorenz, 2009)

—benutztes filmstill aus stanley kubrick, a space odyssey

v @ April 27, 2009

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