PERFORMING VIDEO

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an article comparing two videoartpieces and reflections on potential forms of presentation: where are the borders between definitions like shortfilm, a video performance and/or a video installation?

text von stephanie lauke

zwischenzeit_filmstill
Ein junger Mann fährt durch die Berliner Nacht. Leise, fast unmerklich, zieht er seine Bahnen auf den rhizomatischen Gleisen des öffentlichen Transportbetriebes. Das Fortbewegungsmittel: eine Draisine. Die Videoarbeit Zwischenzeit sensibilisiert für einen Zustand Berlins, löst Grenzen in Raum und Kopf auf, dehnt das Territorium des Erlebbaren aus. Wir begegnen einer Heterotopie, die wir kennen und doch nicht kennen. 8 Minuten und 30 Sekunden dauert das Werk von Mischa Leinkauf und Matthias Wermke. Aber was ist es? Ein Kurzfilm? Eine Performance? Die Dokumentation einer Performance? Videokunst?

Eine andere Videoarbeit, ein anderer Künstler: Wir befinden uns in einem Innenraum. Licht fällt von oben herein und lässt erkennen, dass der Raum halb mit Wasser gefüllt ist. Das Wasser trägt ein Schlauchboot in dem ein junger Mann sitzt. Die Welt als Kapsel – ähnlich den ersten Visualisierungen der Welt im Kosmos. Oder der Bauch eines Walfisches. Doch bald wird der Walfisch zum Tanklaster. Auch hier geht es um Fortbewegung. Aber nicht als solche, sondern um die Übertragung der Fortbewegung auf das Innere des Tanks. Dort spielt sich ein kleiner Sturm ab, die Wassermassen toben, das Boot wird zum Spielball. Dem jungen Mann wird ein wenig unheimlich, aber er hält sich tapfer im Boot. Er ist wasserdurchtränkt, da legt sich der Sturm und der Protagonist klettert durch die Luke aus dem Bild. Die Arbeit ist in einer statischen Einstellung gedreht, die Kamera an der gegenüberliegenden Innenseite des Tanks befestigt. Das Werk von Andreas Schneider mit dem Titel o.t. (jona) hat eine Länge von 12 Minuten und 2 Sekunden, rein formal betrachtet ist es ebenfalls ein Kurzfilm.

In der Wissenschaft und der Kunstkritik hat sich das Denken in Kategorien scheinbar bewährt. Die systematische Auseinandersetzung mit Kunstwerken setzt Kunstwerke zueinander in Bezug, ordnet sie Schulen und Gattungen zu, bestimmt ihren Wert durch Vergleich. Aber wird diese Objekt-ivierung den Kunstwerken gerecht? Erhalten wir dadurch zusätzliche Informationen zum Werk? Die oben vorgestellten Arbeiten verweigern sich auf den ersten Blick dieser Objektivierung. Wie ein Kaleidoskop drehen und wenden wir sie und entdecken dabei neue Strukturen:

Blicken wir in das Kaleidoskop von Zwischenzeit, sehen wir einen experimentellen Kurzfilm, in dem die Zeit durch die Montage gleichzeitig gedehnt und verdichtet wird. Der Protagonist, ein Reisender der Nacht, ist eine Vision oder eine Phantasie. Als Kurzfilm kann die Videoarbeit im Kino präsentiert werden, auf einem Festival für Experimentalfilme, als Vorfilm in einem Arthouse Cinema. Drehen wir das Kaleidoskop leicht, meinen wir in der Reise mit der Draisine eine Performance auszumachen. Eine Performance im öffentlichen Raum, die allerdings so unmerklich und leise ist, dass diese performative Zwischenzeit erst durch ihre Aufzeichnung manifest wird. Wird das Kaleidoskop ein wenig geschüttelt, kann die Aufzeichnung aber auch das Selbstverständnis einer Dokumentation der Performance erhalten. Und noch einmal geschüttelt, bieten sich aufgrund der Montage, der Neustrukturierung des filmischen Materials von Zwischenzeit, weitere Formen an, das Material zu präsentieren: So könnte Zwischenzeit auf mehreren Leinwänden gleichzeitig präsentiert, als Projektion oder Installation im verdunkelten White Cube oder im öffentlichen Raum ausgestellt werden. Was das Künstlerduo im Übrigen in die Tat umgesetzt hat: Zwischenzeit gibt es auch als geloopte, dreikanalige Video-/Audioinstallation mit einer Länge von 17 Minuten.

o.t. (jona) videostill
In das Kaleidoskop der Arbeit o.t. (jona) geblickt, erschließen sich uns ebenfalls unterschiedliche Facetten. Wir können unter o.t. (jona) eine Performance verstehen, die einen Prozess abbildet, in den sich der Protagonist begeben hat. Die Kontrolle gibt er mit dem Starten des Lasters aus der Hand. Die Präsentation der Performance betreffend sei beispielsweise die Präsentation als einkanalige Videoarbeit in einer Kunstausstellung angedacht. Leicht gedreht stellt sich uns im Kaleidoskop o.t. (jona) die Arbeit wiederum als Dokumentation dieser Performance dar. Die Notwendigkeit zur Dokumentation ist bereits in der Raumkonzeption des Tanks angelegt, die es nicht zuließ der Performance vor Ort beizuwohnen. Anders betrachtet wird die Videoarbeit o.t. (jona) im Kaleidoskop zu einem experimentellen Kurzfilm, der Referenzen zu den ersten Gehversuchen des Kinos aufweist: Die ersten Filme der Brüder Lumière waren inszeniert, meist in statischen Einstellungen gedreht und erzählten von fremden bzw. unbekannten Orten. Die Präsentationsmöglichkeiten eines solchen Kurzfilms sind vielfältig: Wir könnten ihn als Projektion auf einem Film- oder Kunstfestival wieder finden, vielleicht in einem Filmprogramm oder installativ an einem entsprechenden Ort.

Als was die beiden künstlerischen Videoarbeiten, Zwischenzeit und o.t. (jona), bezeichnet werden können, das bestimmt, durch das Kaleidoskop betrachtet, nicht ausschließlich ihr Inhalt, ihre Form, sondern der Kontext, in dem die Arbeiten präsentiert bzw. rezipiert werden.

Performance und Video verbindet seit jeher etwas sehr Ursprüngliches, so wurden etwa die frühen Performances der sogenannten Body Art (VALIE EXPORT, Vito Acconci, Bruce Nauman) mittels der damals verfügbaren Videotechnik aufgezeichnet. Die KünstlerInnen standen oftmals selbst vor der Kamera. Auch im Fall von Andreas Schneider und Matthias Wermke sind Künstler und Protagonist jeweils dieselbe Person. Allerdings ist Vorsicht geboten, diese ‚Auftritte’ mit den Selbstdarstellungen bzw. Selbstinszenierungen der KünstlerInnen der Body Art ohne weitere Reflexion in eins zu setzen.

Stattdessen sei auf zwei Gebrauchsweisen von Video und Performance verwiesen, die den Performancebegriff weiter ausdifferenzieren. Irene Schubiger (2002) unterscheidet diesbezüglich zwischen „Performances für die Videokamera“ (Schubiger 2002, 52) und „Videoperformance“ (Schubiger ebd.): die „Performances für die Videokamera“ bezeichnen künstlerische Handlungen, die zu reinen Dokumentationszwecken von einer Videokamera unter An- oder Abwesenheit des Publikums aufzeichnet werden. Motivation dieser Form der Performance ist die Möglichkeit, mittels Film- oder Videotechnik, den ansonsten ephemeren künstlerischen Ausdruck über die Dauer der Performance hinaus festzuhalten. Das Videoband dient in diesem Fall ausschließlich als Speichermedium der Performance. Ihm ist kein künstlerischer Ausdruck zu entnehmen – im Gegenteil zur zweiten Gebrauchsform, der videospezifischen „Videoperformance“. In diesem Fall wird die Performance explizit für die Videokamera vollzogen, „the lens becomes the future audience“, so Marina Abramovic auf dem Symposion Kunst-Film-Kunst im Rahmen der KunstfilmBiennale 2007 in Köln. Auch bei der Videoperformance kann das Material wahlweise nachbearbeitet werden oder so belassen werden.

Es ist bemerkenswert, dass Schubiger sowohl im Fall der Performance für die Videokamera als auch bei der Videoperformance in der Montage kein eigenständiges Kriterium ausmacht. Inwieweit ist es notwendig bei einer Performance für die Videokamera das Material im Nachhinein umfassend zu bearbeiten? Je nach Umfang der Montage auf der Bild- und Tonebene könnte das Ausgangsmaterial kaum bis sehr verändert werden. Im Fall größerer Eingriffe stellen diese den Selbstzweck der Dokumentation in Frage: Beispielsweise beauftragte der Wiener Aktionskünstler Otto Mühl seinen Freund und Kollegen Kurt Kren mit einer Aufzeichnung seiner Performances im Sinne der Performance für die Videokamera. Mühl wollte performen, Kren sollte es dokumentieren. Kren war allerdings so ambitioniert, dass er aus dem gefilmten Material der Performance eine eigene künstlerische Arbeit montierte, die übermäßig viele Schnitte aufwies und von einer ganzen Bandbreite an Einstellungsgrößen und disparater Kamerastandorte Gebrauch machte. Mühl fand das gar nicht komisch und zerstritt sich mit Kren (vgl. den Text Intensität – Köper von Michael Palm im Booklet zur DVD Kurt Kren – Action Films. Wien: Arge Index 2004). Der Eingriff der Montage ist also nicht zu unterschätzen.

Zwischenzeit und o.t. (jona) können, nach Schubiger, als Videoperformances bezeichnet werden. Das inszenatorische Moment von Zwischenzeit ist sehr auffällig und die umfassende Nachbearbeitung sowie das additive Soundscape unterstreichen, dass die Performance auf der Draisine für die Kamera gemacht wurde. Auch o.t. (jona) kann als Videoperformance gelten, gedreht in einer Einstellung. Schubiger differenziert in ihrem Text hinsichtlich der Gebrauchsfunktion der Videoaufzeichnung. Die Frage aber, ob es sich bei den besprochenen künstlerischen Arbeiten vorrangig um eine Performance oder um eine filmische Arbeit handelt, können die Begriffe Schubigers nicht leisten, unter anderem, weil das Kriterium der Montage außen vorgelassen wurde, das aber besonders bei einer Videoperformance als relevantes Gestaltungsmittel gelten muss.

Unter pragmatischen Vorzeichen erhalten wir bei Zwischenzeit und o.t. (jona) weder durch die technischen Parameter noch durch das audiovisuelle Material Aufschluss über Werk und Form, sondern erst durch die Präsentationform der Videoarbeiten. So gesehen ist jede Präsentation von Zwischenzeit und o.t. (jona) eine Aktualisierung als Film, als Performance, als Videokunst, als Dokumentation oder als Installation, etc. Die Künstler generieren ihr Werk bei jeder Präsentation neu. Einerseits ist es spannend, zu beobachten wie sich eine künstlerische Arbeit, abhängig vom Präsentationsrahmen, ästhetischer/inhaltlicher Schwerpunktsetzung oder kuratorischer Vorgaben modifiziert bzw. neu gestaltet. Andererseits kann dies zu Lasten der Werkspezifik, der klaren Definition eines Werkes gehen, es besteht die Gefahr der Beliebigkeit.
Einen schmalen Grad gilt es da zu bewandern.

Feb.09

Material:
Schubiger, Irene (2004): Selbstdarstellung in der Videokunst. Zwischen Performance und „Self-Editing“. Berlin: Reimer.
Palm, Michael (2004): Intensität – Köper. Im Booklet zur DVD Kurt Kren – Action Films. Wien: Arge Index.
Zwischenzeit von Mischa Leinkauf und Matthias Wermke (2008) 8:30 min. www.stopmakingsense.de
o.t. (jona) von Andreas Schneider (2008) 12:02 min.

v @ Februar 3, 2009

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